Projektentwicklung als „Königsdisziplin“ - Tiefeninterview mit Pieter den Boer:
Reasult Let’s Talk – Heute: Ein Interview mit Pieter den Boer, Mitgründer und Entwickler von Reasult.
In unserer Interviewreihe “Let’s Talk” stellen wir führende Immobilienentwickler aus den Niederlanden vor. Dabei sprechen wir über das Thema Projektentwicklung und die komplexen Prozesse sowie Veränderungen auf diesem Gebiet.
Let's talk – der Reasult Talk rund um das Thema Projektentwicklung
Sander Janssen, Direktor bei Reasult, spricht in unserer Let`s talk-Reihe mit führenden Immobilienentwicklern aus den Niederlanden. Sein Interviewpartner heute: Pieter den Boer, Immobilienentwickler und Mitbegründer von Reasult.
Pieter den Boer, Entwickler und Mitbegründer Reasult
Pieter den Boer gehört zu den Gründern von Reasult BV. Vor seiner Zeit bei Reasult war er jahrelang als Projektentwickler und Unternehmer in der Immobilienbranche tätig. Und obwohl er sich bereits im Rentenalter befindet, lässt ihn die Immobilienbranche nicht los.
Pieter studierte Ingenieurwissenschaften an der TU Delft und begann als Projektentwickler beim Immobilienverwalter Nationale Nederlanden Vastgoed. Anschließend arbeitete er einige Zeit in verschiedenen Führungspositionen bei der Wilma Immobilienentwicklung.
Seit 1999 ist Pieter selbstständiger Unternehmer und entwickelte und begleitete unterschiedliche Immobilienprojekte. Darüber hinaus war er an der Gründung verschiedener Unternehmen beteiligt – unter anderem an der VGS, Webstate, VR (Real Estate Director und Court of Audit), Connektor oder Reasult.
Welche Eigenschaften zeichnen einen Projektentwickler aus?
„In meiner 45-jährigen Berufserfahrung als Projektentwickler habe ich viele Facetten des Berufs kennengelernt. Als ich in den 1980er Jahren für Wilma arbeitete, war der Immobiliensektor noch viel internationaler aufgestellt. Und Wilma bot viele Möglichkeiten – man hatte zum Beispiel Kontakte zu Projektentwicklern in den USA und in Deutschland. Heute konzentrieren sich Bauherren und Projektentwickler zunehmend auf ihre lokalen Märkte.
Als Projektentwickler ist Eigeninitiative gefragt, man muss zukunftsorientiert handeln und die Grenzen seines Fachgebiets stets erweitern. Auch Kreativität ist in diesem Beruf sehr wichtig, denn man wird mit den unterschiedlichsten Themen konfrontiert und muss sich Bereichen wie Nachhaltigkeit und Technologie annehmen. Projektentwicklung ist ein weites Feld, in dem man viel Geduld mitbringen muss – denn Projekte erfordern oft jahrelange Aufmerksamkeit und Ausdauer.“
Was halten Sie von „Projektentwicklung als Königsdisziplin“?
Pieter lächelt und sagt: „Ja, dem kann ich nicht widersprechen. Man beginnt mit nichts, mit einer Skizze, einer Berechnung und einer möglichen Bauoption vor Ort. Das Engagement nimmt im Entwicklungsprozess sukzessive zu. Es kommt selten vor, dass man auf halbem Weg anhält und ein angefangenes Projekt abbricht – dann müsste schon etwas Unvorhersehbares passiert sein. Jedes Projekt ist wie ein Startup, das klein beginnt und zu einem ausgereiften „Unternehmen“ heranwächst. Man beginnt mit einem multidisziplinären Team und erst nach langer Zeit und mit viel Hartnäckigkeit erzielt man Erfolg. Ist der Bau abgeschlossen und das Objekt bzw. die Objekte verkauft – erst dann wird der Erfolg sichtbar.“
„Ich entwickle Konzepte und bin hauptsächlich in der Vorbereitungsphase tätig, denn andere können mit Abrechnungsprozessen deutlich besser umgehen. Es ist ein sehr langer Weg, an dem viele Menschen beteiligt sind, die häufig den Staffelstab an andere übergeben. Das ist stets eine große Herausforderung für einen Projektentwickler. Bis zum Ende bleibt es spannend und riskant.“
Welche Projekte begeistern Sie?
“Beispielsweise das Utrecht City Project (UCP), das sich rund um den Hauptbahnhof befindet: vom Vredenburg-Platz bis zum Jaarbeurs-Platz, einschließlich des Einkaufszentrums Hoog Catharijne. Ich war hier von Anfang an beratend tätig, kann also das Projekt und seine immensen Herausforderungen gut einschätzen. Es ist ein Projekt, das in den Niederlanden seinesgleichen sucht, das Mobilitätsaspekte und Immobilien kombiniert, wobei die Mobilität eindeutig im Vordergrund steht. Es ist sehr komplexes Projekt, da während der Bauzeiten alles weiter funktionieren muss. Die Entwicklungs- und Bauzeit beträgt nun 30 Jahre.”
“Ich habe eine ganze Reihe von Projekten entwickelt, viele hatten ihre ganz eigenen Besonderheiten, so etwa der Bio Science Park in Leiden aus den 80er Jahren. Dabei handelte es sich anfangs um ein Produktionslabor, bestehend aus Reinräumen. Das Biotech-Unternehmen Centocor war damals der Käufer und Nutzer des Labors. Seitdem ist das Objekt enorm gewachsen, heute gehört es zu einem der erfolgreichsten Wissenschaftsparks in Europa. Centocor gehört heute zu Johnson & Johnson, die dort ihren Corona-Impfstoff produzieren.”
“Auch der Transpolis Business Park in der Nähe des Flughafens Amsterdam Schiphol, der Anfang der 90er Jahre fertiggestellt wurde, war sehr speziell. Das Hauptgebäude des Parks ist ein Dienstleistungs-Center, ein Full Service Office, damals noch mit Telekommunikationsdienstleistungen. Aber auch das Maagjesbolwerk in Zwolle aus dem Jahr 2001 ist ein hervorragendes Beispiel für ein komplexes, multifunktionales Projekt in einem historischen Stadtzentrum – mit Einkaufsflächen und Parkplätzen unter der Erde.”
“Aktuell läuft der Bau des World Food Centers in Ede, direkt am Bahnhof Ede-Wageningen. Das ehemalige Kasernengelände Maurits-Zuid wird hier multifunktional umgestaltet – hier entsteht ein echter Publikumsmagnet mit einem Erlebniszentrum, Einrichtungen aller Art, einem Gewerbegebiet für Lebensmittelfirmen und Wohnungen. Auch das ist ein wirklich spannendes und inspirierendes Projekt.”
Wo sehen Sie die Chancen für eine stärkere Digitalisierung innerhalb der Projektentwicklung?
“Vor 20 Jahren stand Reasult noch ganz am Anfang. Unser erster Kunde war NS Vastgoed. Damals wollten wir den Bereich Digitalisierung voranbringen, indem Microsoft Excel durch moderne Lösungen ersetzen. ‘ Improving your results in Real Estate’ war unser Credo. Ich denke, das ist uns auf jeden Fall gelungen. Neben Entwicklungs- und Investitionsportfolios eignet sich die aktuelle Software hervorragend für die Kalkulation komplexer Projekte – ganz gleich, ob es sich um Sanierungen, um die Entwicklung ganzer Gewerbegebiete, Büros oder Gebietsentwicklungen handelt. Zu Beginn eines Projekts mag man einfache Berechnungen bevorzugen, aber schon bald wird eine Software benötigt, die stärker ins Detail geht.”
Welche Chancen sehen Sie für Immobilienentwickler?
“Der Bedarf an Wohnraum bleibt hoch. Transformationsprojekte, Veränderungen in der Arbeitswelt, Space as a Service – all das sind aktuelle Themen, die ich beobachte. Aber es geht um so viel mehr, beispielsweise um die Sicherstellung der Wasserversorgung, um die Energiewende, eine nachhaltige Landwirtschaft, um unsere Natur und Umwelt oder um das Thema Mobilität. Das alles führt zu städtebaulichen Anforderungen, die das Bauen einschränken und manchmal unmöglich machen. Tatsächlich sind die Niederlande zu klein, um allen Flächenanforderungen gerecht zu werden. Wir können es uns nicht leisten, 20 Jahre lang über den Polder Rijnenbrug bei Utrecht zu diskutieren. Um unser Land voranzubringen, brauchen wir einen neuen Typus von Entwicklern, die breiter und vorausschauend denken, aber auch einen Staat, der stärker die Regie übernimmt. Ich spreche von langfristigen Strukturplänen für Kommunen, Städte und Länder. Wo werden Windmühlen und Solarparks, Naturschutzgebiete, Wasserspeicher, Wohnungen stehen? All diese Fragen sollten ganzheitlich gelöst werden.
Der Bericht ‘Panorama der Niederlande’ vom Dezember 2018,
verfasst vom Beratungsgremium Board of Government Advisers, liefert eine klare Vision für Projektentwickler. Dort wird skizziert, wie sich die Niederlande in den kommenden Jahrzehnten intelligent an die sich ändernden Rahmenbedingungen anpassen kann. Derzeit ist eine weitere Ausarbeitung dieser Zukunftsvision durch die Zentralregierung (mit hoffentlich bald einem weiteren Ministerium für Raumplanung) und den Regionen dringend erforderlich.
Diese Ausarbeitung von Strukturplänen soll es dann Kommunen und Entwicklern ermöglichen, die Aufgaben für jede Entwicklung gemeinsam mit dem Markt anzugehen. Dazu braucht man Fachleute, die das Entwicklungsgeschäft kennen, die einen weiten Horizont haben und die sich nicht mit dem Umsatz des nächsten Jahres befassen müssen. Das Interesse von (Gebiets-)Entwicklern, die daran mitarbeiten wollen, wird groß sein. Das führt zweifelsohne zu innovativen Lösungen. Ich blicke positiv in die Zukunft und kann es kaum erwarten, ein noch schöneres Holland zu sehen.
Let's Talks Interviews
Weiterlesen?